Mythen und Missverständnisse in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen
Das empathische, aktive Zuhören und das Bestreben, den jungen Patienten und seine Bezugspersonen wirklich in seiner Sichtweise und Problematik zu verstehen, gehört zum ureigenen Rüstzeug jedes/jeder Psychotherapeuten/in! Als alleinigen Wirkfaktor für einen Therapieerfolg kann man dieses „Reden und Zuhören“ jedoch nicht ansehen, denn wäre dies so, müssten Psychotherapeuten kaum eine mehrjährig dauernde Ausbildung absolvieren.
In der Verhaltenstherapie geht es um einerseits Verringerung von Symptomen und andererseits Veränderung von Verhaltens- und Denkweisen. In der (hypno)systemischen Therapie geht es darum, die Rolle der Symptomatik im (Familien)System, also im Umfeld der Patienten zu verstehen sowie die Zuversicht und Selbstwirksamkeit zu stärken.
Es geht letztlich um zwei große Themen für die jungen Patienten und sie als Eltern:
Erstens: In vielschichtiger Weise zu verstehen, wodurch die aktuelle Problematik entstand und aufrechterhalten wird (biographische Prägungen, Funktionen der Problematik im Umfeld, eigene Verhaltensmuster).
Zweitens: aktiv etwas hieran zu verändern, z. B. indem neue Verhaltens- und Denkweisen erlernt werden.
Ein Beispiel für solche Übungen / Interventionen, die zum Einsatz kommen können, sind u. a. die Anwendung von Strategien zum Infragestellen ungünstiger Gedanken (auch genannt „kognitive Umstrukturierung“), Rollenspielübungen zum Erproben neuer Verhaltensweisen oder Expositionsübungen zum Verlernen von Ängsten.
Der langfristige Effekt einer Psychotherapie kommt vor allem dadurch zustande, dass diese NEUEN Verhaltens- und Denkweisen konsequent geübt werden. Denn neue Dinge zu lernen, bedeutet, dass neue Verknüpfungen im Gehirn erzeugt werden.
Alte Denk- und Verhaltensmuster bleiben im Gehirn auch erhalten, deswegen müssen die neuen „Pfade“ besonders häufig benutzt werden, sonst nimmt man im Alltag doch wieder die alten.
Des erfordert von allen beteiligten Geduld und Zuversicht, v.a. wenn res Rückschritte im Therapieprozess gibt. Diese gehören in der Regel mit dazu. Die Probleme sind über längere Zeit entstanden und können nicht in kürzester Zeit verlernt und verändert werden.
Das heißt: „Übung macht den Meister“. Eine gute Psychotherapie kommt daher kaum ohne "Hausaufgaben" für die Zeit zwischen den Sitzungen aus.
Dies alles setzt die Bereitschaft beim Kind und den Eltern voraus, etwas ändern zu können, dabei unterstützt zu werden, es aber auch selbst zu wollen - siehe nächster Abschnitt!
Bevor die Behandlung beginnt, muss der/die junge Patient/in sowie die Eltern wissen, worauf er/sie sich einlässt.
Das bedeutet: Aufklärung seitens der Psychotherapeutin über viele wichtige Dinge: Diagnose(n), Ablauf der Therapie, voraussichtlich zur Anwendung kommende Therapietechniken, die Erfolgsaussichten der Behandlung sowie mögliche Nebenwirkungen usw.
Häufig wünschen sich Eltern und andere wichtige Bezugspersonen des jungen Pat. schnellstmöglich psychotherapeutische Hilfe, denn sie machen sich große Sorgen um ihn oder sie.
Eine Psychotherapeutin wird die ambulante Psychotherapie jedoch nur durchführen, wenn tatsächlich eine psychische Erkrankung = eine psychische Diagnose, vorliegt. Und, was noch wichtiger ist: Wenn der junge Mensch selbst einverstanden ist!
Kinder und Jugendliche haben ein Mitbestimmungsrecht, was ihre eigene Gesundheit und Seele betrifft!
Es kann auch sein, dass trotz großer Probleme der junge Pat. nach o.g. Aufklärung keine Psychotherapie möchte. Dies sollte respektiert werden und alle Beteiligten miteinander im Austausch bleiben, was dem jungen Menschen darüber hinaus helfen könnte.
Nicht immer haben Pat. die Kraft, Ausdauer oder Ressourcen, um eine solche Behandlung bewältigen zu können. Das geht Erwachsenen wie auch Kindern so! Das sollte berücksichtigt werden und dem Pat. nicht als Widerstand gegen eine ambulante Psychotherapie ausgelegt werden.
Eine ambulante Psychotherapie ist freiwillig! Es macht keinen Sinn, diese zu beginnen, wenn der Wunsch dazu, dass das Kind oder der Jugendliche etwas ändern soll, nur von Außenstehenden (Schule, Jugendamt, Eltern etc.) kommt.
Für Angehörige und das Umfeld mag das schwer zu verstehen sein - und das ist nur allzu verständlich - aber es wäre von Anfang an zum Scheitern verurteilt und die Therapie nicht wirksam.
So manche psychotherapeutische Behandlung im jungen Erwachsenenalter, also einige Jahre später nach einer Erstvorstellung bei einer Psychotherapeutin, wird vermutlich auch deshalb dann (erst) begonnen, weil der junge Mensch einige Jahre zuvor erfahren durfte, dass ihn niemand zu einer Psychotherapie gezwungen hat, sondern er selbst darüber entscheiden durfte.
Krisen/Notfall:
Selbstverständlich gibt es bzgl. der Freiwilligkeit Grenzen - wenn ein Notfall eintritt. Dies kann u.a. sein bei sehr starkem Untergewicht, nicht-suizidalem selbstverletzenden Verhalten oder bei akuter Suizidalität.
Eine Psychotherapeutin vermittelt ihnen und dem/der Pat. dann entsprechende Kriseninterventionen und empfiehlt in der Regel die Anmeldung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie und/oder die direkte Vorstellung auf einer Akutstation.
Im Notfall sind die Sorgeberechtigten hauptverantwortlich und sollten empfohlene Maßnahmen angehen, um dem Kind zu helfen. Das Kind kann und sollte über eine Notfallsituation und das weitere Vorgehen zur Krisenbewältigung nicht entscheiden! Als Eltern werden sie sorgfältig aufgeklärt, an wen sie sich im Notfall wenden können.
Ergänzung Diagnostikphase (Probatorik):
Auch Psychotherapeutinnen haben die Möglichkeit eine ambulante Behandlung eines/einer Pat. nach und im Rahmen der Diagnostikphase aus versch. Gründen abzulehnen, ohne dies begründen zu müssen. Sie werden dann von ihr dabei unterstützt, bei einem/r Kollegen/Kollegin einen Therapieplatz zu erhalten.
Eltern, die sich in einer psychotherapeutischen Praxis melden, wünschen sich Hilfe für ihr (vermutlich) psychisch krankes Kind. Das ist nachvollziehbar und gut, wenn es erkannt wurde!
Leider sind die Wartelisten für ambulante und stationäre Therapieplätze sehr lang, was die Hilflosigkeit zusätzlich steigert.
Immer wieder scheint es bei Eltern / Vertrauenspersonen die Hoffnung zu geben, dass sich die Probleme des Kindes oder Jugendlichen allein dadurch lösen, wenn dieses regelmäßig Psychotherapie-Termine wahrnimmt. Die Verantwortung für die Gesundung des Kindes/Jgdl. wird vermeintlich der Psychotherapeutin allein "zugeschoben".
In der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist die Mitwirkung der Eltern und des sozialen Umfeldes von enormer Wichtigkeit für einen Therapieerfolg. Dies gilt umso mehr, je jünger der oder die Pat. ist.
Diese Mitwirkung besteht u.a. darin, die angebotenen Elterntermine wahrzunehmen und selbst danach zu fragen, wenn Bedarf besteht. Auch sidn Fragebögen auszufüllen o.ä. Die Mitwirkung besteht auch darin, den Behandlungsempfehlungen der Psychotherapeutin zu folgen. Dies kann bspw. sein:
* Einbezug weiterer Helfer
* ggf. Anmeldung in einer Klinik
* Mitbehandlung bei einem Kinderpsychiater
* Einbezug einer Ernährungstherapeutin
* Erziehungsbeistand / Familienhelfer
* Einbezug des Jugendamtes
* Vorstellung in einer Beratungsstelle
* ergänzende Ergotherapie
* Einbezug von Schulsozialarbeitern
* gem. Gespräche mit Lehrern/innen
etc.
Als Eltern werden sie ausführlich darin angeleitet und beraten, was zu tun ist und sollten den Empfehlungen möglichst folgen. Schwierigkeiten bei der Umsetzung können und sollten offen miteinander besprochen werden. Die Psychotherapeutin orientiert sich bei ihren Empfehlungen an aktuellen Behandlungsleitlinien!
Es mag ungerecht sein, das zu lesen, und eigentlich ist es überflüssig das zu schreiben, aber eine Psychotherapeutin hat keinen "Zauberstab", mit dem sie alle Probleme eines Kindes schnell wegtherapieren kann.
Die psychischen Probleme sind oft über lange Zeit entstanden und ebenso braucht es Zeit und Geduld für Veränderung und Therapie.
Und v.a. braucht es bei dem oder der Pat. Kraft, Zeit und Motivation, an der Therapie mitzuwirken.
Die Psychotherapeutin unterliegt der gesetzlichen Schweigepflicht.
Das heißt: Alles, was wir in gemeinsamen Gesprächen thematisieren, bleibt unter uns. Dies betrifft Einzelgespräche mit dem Patienten/in, den Eltern und gemeinsame Gespräche mit dem Patienten/in und den Bezugspersonen.
Damit ein Austausch aller relevanten Personen, die zur Gesundung des Kindes beitragen können, möglich ist, gibt es häufig eine Schweigepflichtentbindung untereinander. Dies hilft dabei, dass alle gut miteinander kooperieren und dem Kind/Jgdl. helfen können.
Bitte beachten Sie jedoch:
Die Schweigepflicht gilt auch gegenüber allen Bezugspersonen des Kindes/Jugendlichen, auch Eltern!
Ganz praktisch bedeutet das: Diese Personen erhalten keine Informationen darüber, was die Psychotherapeutin und der junge Patient in Zweiergesprächen besprechen!
Für Eltern ist das manchmal schwer zu verstehen, es geht aber grundlegend darum, dass das Kind/der Jgdl. einen sicheren Ort hat, an dem er alle seine Sorgen und Nöte offen aussprechen darf ohne zu befürchten, dass diese weitergegeben werden. Grundlage der Behandlung ist ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Kind/Jgdl. und Therapeutin.
Oft ist es, wie weiter oben erwähnt, aber möglich, sich gemeinsam zusammen zu setzen und auszutauschen, v.a. um Missverständnisse zu vermeiden.
Brechen der Schweigepflicht:
Tritt eine Situation der Eigen- oder Fremdgefährdung des Kindes ein, kann und darf die Psychotherapeutin die Schweigepflicht brechen. Die Sorgeberechtigten müssen in diesem Fall über die Situation informiert werden und werden darin angeleitet, ihrem Kind direkt zu helfen.
Ein Beispiel für Eigengefährdung ist, dass das Kind akut gefährdet ist, Suizid zu begehen. Oder es steuert auf ein lebensbedrohliches, niedriges Gewicht zu und ist nicht bereit, sein Gewicht zu steigern - trotz Psychoedukation, wieso dies so wichtig ist.
Bei einer Fremdgefährdung darf die Psychotherapeutin die durch das Kind bedrohte Person vorwarnen. Diese Situation tritt sehr selten ein.
Selbstverständlich prüft die Psychotherapeutin die Situation ganz genau ehe sie die Schweigepflicht bricht!
Berechtigterweise machen sich Eltern große Sorgen, wenn ihr Kind starke Ängste hat! Als Psychotherapeuten prüfen wir genau, sind diese Ängste altersgemäß und wie stark sind sie ausgeprägt? Dafür gibt es klare Diagnosekriterien und fachliche Grundlagen. Zudem wird geprüft: wer hat den Leidensdruck - Kind oder Eltern? Wie sind die Ängste entstanden?
Angst ist erstmal ein sehr hilfreiches Gefühl, was uns vor Gefahren schützen soll. Ein Leben ohne (angemessene) Angst ist nicht die Lösung. Ein Leben und ein gesunder Umgang mit der Angst jedoch schon.
Ängste können auch nach traumatischen Erlebnissen entstehen und sind ein Bewältigungsversuch des Kindes (erneute Gefahr vermeiden).
Überblick: ALTERSTYPISCHE ÄNGSTE bei Kinder und Jugendlichen:
Babys:
Angst vor lauten Geräusche, Angst vor Fremden, Trennungsangst, Verletzungsangst
Kleinkinder:
Angst vor eingebildeten Figuren, Angst vor Einbrechern, Angst vor Tod, Angst vor dem Alleinsein, Angst vor Tieren (Hunden),
Angst vor Dunkelheit, Angst vor Monstern
6- bis 12-Jährige Kinder:
Schulangst, Verletzungsangst, Angst vor Krankheit, Angst vor Gewitter, Angst vor sozialen Situationen, Leistungsängste
13- bis 18-Jährige:
Verletzungsangst, Angst vor Krankheit, Angst vor Sexualität, Angst vor sozialen Situationen, Leistungsängste (Prüfungs- und Versagensängste)
Frühwarnzeichen für behandlungsbedürftige Kinderängste sind:
starke Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten, Unruhe und starke Anspannung, Schlafprobleme, psychosomatische Anzeichen (Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Zittern, Schwindelattacken etc.)
Gehen Sie sofort zum Arzt, wenn der Alltag stark von den Ängsten des Kindes beeinträchtigt wird.
Diese Kinderängste sind ernst zu nehmen:
extreme Angst vor Dunkelheit und Monstern, Nachtschreck, enorme Trennungsangst, Schulangst, Leistungsangst, Soziale Phobie, Panikattacken, depressive Symptomatik mit Angst gemischt